Ronny Meyer

Nebenkriegsschauplatz

Ronny Meyer, 21. Juli 2014

„Nenne eine Lüge eine ,Lüge‘, wenn es eine Lüge ist“ –- das sagt Tilo Jung vom Online-Portal krautreporter.de. Die Krautreporter stehen für neutralen Journalismus, unabhängig von Verlagshäusern und so auch unabhängig von Anzeigen-Auftraggebern.

Das Wort „unabhängig“ wird bei den Krautreportern groß geschrieben. Ob sich die Krautreporter mal dem Thema „Wärmedämmung“ annehmen würden? Spannend wäre es allemal. Denn aus der Pro-und-Contra-Wärmedämm-Diskussion wird jetzt mehr und mehr eine Art Krieg, in dem einige Medien sich derart heftig gegen die Dämmung „einschießen“, dass außenstehende Beobachter dies nur noch mit einem Kopfschütteln kommentieren. Fachleute hingegen fragen sich, was hier gerade passiert. Sehr seltsam alles.

Gestern, am 20. Juli legte die Sonntags-FAZ nach einem recht unsachlichen Beitrag mit dem Titel „Stoppt den Dämmwahn“ vor gut zwei Monaten nun mit dem „Angriff der Umerzieher“ nach und betrieb damit wieder einmal nicht gerade Aufklärung und Information der Leserinnen und Leser, sondern tritt in meinen Augen wie ein wild um sich ballernder Bengel auf.

Nun ist der Zeitpunkt gekommen, an dem sich die redlichen Diskutanten zurückziehen sollten.

Ich für meinen Teil mache dies jetzt – werde aber dieses Mal noch einmal zum Kommentator. Ob ich mich an dieser Stelle tatsächlich über die FAS-Anklage aufregen soll, dass sich der „geschäftstüchtige“ Ulrich Wickert als Promi dafür bezahlen lässt, dass er ein paar Sichtweisen pro-Wärmedämmung aufsagt? Mein Gott, FAS, Steffi Graf hat in gefühlt tausenden TV-Spots Nudeln gelobt, und wer nach weiteren Profis in der Werbung fahndet, wird eine Liste schreiben können, die länger und länger und länger wird. Aber deshalb Nudeln und Dämmplatten den Krieg zu erklären, ist doch wohl etwas arg weit hergeholt.

Es werden jetzt also Nebenkriegsschauplätze eröffnet. Der Begriff „Nebenkriegsschauplätze“ ist richtig gewählt. Während die Dämmindustrie schon vor längerer Zeit angetreten ist, die erhitzte Diskussion zu versachlichen, sich jeder Form von Kritik stellt und längst die Diskussion sachlich auch mit Dämm-Kritikern führt, wird an anderer Stelle nochmals richtig nachgeladen und zugeschlagen.

Dabei nimmt der immergleiche Dreiklang aus „Dämmung brennt, Dämmung schimmelt, Dämmung führt zu einem Recyclingproblem“ nur noch ganze 4 Zeilen auf dem aktuellen, nahezu ganzseitigen FAS-Artikel ein. Der Rest ist eine überaus polemische Abrechnung mit Ulrich Wickert und der Deutschen Energie-Agentur (dena). Zwischen den Zeilen bekommt noch die Dämm-Industrie ein paar Backpfeifen, dass es nur so scheppert.

Über die Wahrscheinlichkeit eines Brandes (geht bei WDVS gegen Null, außerdem gibt es nichtbrennbare Dämmstoffe), dass gedämmte Wände nicht schimmeln können und dass das Thema WDVS-Recycling noch kein Problem ist, weil es einfach so gut wie gar keine Fassadendämmsysteme gibt, die abgerissen werden, haben wir schon x Mal geschrieben.

Der Angriff auf Wickert ist nun völlig irre. Klar, den Spruch „Häuser sind wie Menschen. Sie geben uns Schutz, Wärme und Geborgenheit“ kann man gut oder schlecht finden. Aber muss man in Anbetracht der wirklichen Probleme in dieser Welt so eine verbale Bombe zünden? Muss das wirklich sein? Zugegeben, ich finde den Spruch jetzt auch nicht den Ober-Hammer. Doch dann müsste ich mich doch viel, viel mehr zum Beispielüber die Auto-Werbung echauffieren, die uns „sportliches Fahren und Fahrspaß“ verspricht. Das ist schon eher eine Lüge.

Denn sobald wir unsere 30.000-, 40.000- und 50.000-Euro-Schlitten aus den Garagen gelenkt haben, hört bereits der Fahrspaß auf. Alle Staus zusammengerechnet, kommen wir täglich auf viele hundert Kilometer Stillstand statt Fahrspaß. Und ob tatsächlich hinter jeder aufgeklappten FAZ ein kluger Kopf steckt, darf sicher auch bezweifelt werden. Da stimmt der Wickert-Spruch schon eher: „Häuser sind wie Menschen“.

In einem Punkt gebe ich der FAS recht. Das System ist krank. Und damit meine ich nicht das Wärmedämmverbundsystem, sondern unser System insgesamt. Wenn die FAS unter der Überschrift „Angriff der Umerzieher“ noch ein paar Kugeln in Richtung „dena“ abfeuert, dann merkt man eben doch, dass hier einfach nur dumpf Stimmung gemacht werden soll.

Die „dena“ soll ein „Angreifer“ sein? Ich glaub’ ich les’ nicht richtig. Genau das Gegenteil ist der Fall. Ich habe noch nie eine so zurückhaltende Institution erlebt, dass ich schon manchmal glaubte, sie sei von der Energiewirtschaft als Alibi-Institution gegründet worden. Denn der eigentliche Skandal wäre, wenn wir eben keine „dena“ hätten.

Würden wir eine Umfrage in einer x-beliebigen Fußgängerzone machen und die Menschen befragen, wer oder was die „dena“ ist, würden geschätzt weniger als 10 Prozent diese Frage beantworten können.

Die „dena“ ist aus meiner Sicht das genaue Gegenteil einer angreifenden Umerziehungstruppe. Sie ist eine Institution, die auf sehr sachliche (und manchmal leider auch eher langweilige Art) das Thema „Energieeffizienz“ kommuniziert. Etwas mehr Power und Esprit würde der „dena“ sicherlich gut tun.

Im Grunde kann ich dankbar über solche FAS-Beiträge sein. Denn als unabhängiger Bauingenieur werde ich immer wieder um Kommentare gebeten, wie auch dieser hier auf enbausa.de. So bleibt man im Gespräch. Ich lebe davon, dass ich Vorträge und Seminare halte, in denen ich beispielsweise Handwerkern die Grundlagen bauphysikalischer Zusammenhänge vermittle.

Die können dann wiederum verunsicherten Kunden antworten, die beispielsweise gestern die FAS gelesen haben. Ein interessanter Kreislauf. Dennnoch: Ich biete der FAZ/FAS an, im Wissenschaftsressort die Zusammenhänge aus meinen Schulungen zu skizzieren. Dann müsste ich nämlich – so meine Hoffnung – niemals mehr über WDVS-Brand-Schimmel-Recycling referieren: Denn ganz ehrlich gesagt, es langweilt mich inzwischen unendlich. Ich würde künftig allen, die nach so einem Seminar anfragen, einfach diesen Zeitungsartikel zumailen.

Wir haben zwischenzeitlich ein viel wichtigeres Problem zu diskutieren als Wärmedämmung pro-und-contra. Wir müssen anfangen, unsere Häuser so umzubauen, dass wir darin alt werden können. In 20 Jahren droht ein Pflegenotstand mit Betonung auf NOTSTAND. Wenn wir das verhindern wollen, müssen wir jetzt nicht nur einen Umbau unserer Häuser (barrierefrei, Platz für Pflegekräfte usw.), sondern vor allem einen Umbau unserer Gesellschaft vornehmen.

Wer wirklich allein ist, ist schon als gesunder, junger Mensch in dieser Welt recht hilflos (und die Zahl der Single-Haushalte steigt!). Als Älterer, der eventuell krank ist und kein tragfähiges soziales Umfeld (mehr) hat, ist man VOLLSTÄNDIG aufgeschmissen.

In 15 bis 20 Jahren ist es soweit. Da muss der Umbau abgeschlossen sein. In diesem Jahr feiern wir 25 Jahre Mauerfall. Wie schnell die Jahre vergehen und wie langsam der Umbau einer Gesellschaft dauert, haben wir erlebt. Wir haben nun einfach keine Zeit mehr, über den Sinn oder Unsinn einer Wärmedämmung zu diskutieren. Vorschlag: Wir stoppen die Diskussion, den Krieg über und um Dämmung. Wer will, der dämmt sein Haus, und wer es nicht will, der lässt es eben sein.

Meine neue Vortragsreihe, die im Oktober beginnt, heißt „So leben wir in der Zukunft“. In der Zukunft wird es jene geben, die vorgesorgt haben, und jene, die eben nicht vorgesorgt haben. Wir müssen jetzt handeln und einen Nebenkriegsschauplatz „Nebenkriegsschauplatz“ nennen, wenn es ein Nebenkriegsschauplatz ist.

 

Kommentare  

Gerd Meurer Donnerstag, 14. August 2014 13:09
Das Dämmung gerade wenn Sie aus falschen Materialien und oder unsachgemäß ausgeführt wird Schimmel kann, kenn ich aus meiner Praxis als Gutachter.
Konrad Fischer Dienstag, 22. Juli 2014 20:50
Ja, der gute, verkäufliche Wickert: http://www.focus.de/kultur/medien/wickert-affaere-der-preis-ist-heiss_aid_154332.html Und daß gedämmte Wände durchaus schimmeln können, ist jedem wirklichen Schimmelexperten bekannt. Und zwar sowohl außen wie auch innen. Der Rest ist Schweigen.
Rainer Dienstag, 22. Juli 2014 15:58
„Nenne eine Lüge eine ,Lüge‘, wenn es eine Lüge ist“ - die angebliche Brennbarkeit ganzer Stadtteile, welche auch schon im TV des öfteren schon Thema war, ist wohl selbst mit radikalen Mitteln eines Brands direkt vor der mit Polystyrol gedämmten Fläche nicht zu bekommen. Die Bilder die jeder mittels eines Klicks auf meinem Namen "Rainer" sehen kann, widerlegen solche Horrormeldungen doch recht anschaulich. Selbstverständlich besitze ich auch noch andere Bilder vor, während und nach diesem Brand und hatte freien Zugang zu allen Bereichen dort. Es mag ja in der Fantasie einiger Zeitgenossen noch andere Szenarien geben, wo dieser seltsame Wunsch doch noch zur Wahrheit wird. Realität aber ist, selbst hier wo keine wie immer gearteten „Barrieren“ die Polystroldämmung extra geschützt haben – vom fachgerechten Außenputz einmal abgesehen – blieb der gern genommenen großflächige Fassadenbrand schlicht aus. Da sich das Feuer in weniger als 20 Sekunden (so die EXIF-Daten meiner Kamera) auf die Nebengebäude zum Vollbrand ausdehnten, wäre das Löschen der Fassaden eher eine „Nebensache“ bei der Brandbekämpfung gewesen. Doch damit musste sich niemand beschäftigen. Dieser Fassadenbrand fand augenscheinlich eben nicht statt – trotz „größter Anstrengung“ des Brandherdes der u.A. aus drei vollgetankten Fahrzeugen, eines älteren Wohnwagens im Abstand von 2 … 3m zum Wohnhaus, welche komplett ausbrannten - von allen Fahrzeugen blieben nur unbrennbare Trümmer zurück. Der Wohnwagen nebst brennbarem Inhalt, ehemals davor stehend, war bis auf das Fahrgestell komplett weggebrannt

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