Das große FAZ-Eigentor
Mit 19 oder 20 hatte ich mal die Idee, mich mit grauem Hausmeisterkittel und Werkzeugkoffer verkleidet, ohne Eintrittskarte am ahnungslosen Sicherheitsposten (neudeutsch: "Security") vorbei durch den Hintereingang in ein Rockkonzert hineinzumogeln.
Ich hatte es mich dann aber doch nicht getraut, obwohl es sicher eine Mordsgaudi gewesen wäre. Aber sowas macht man nicht!
In der Bauszene gibt es den Architekten Konrad Fischer, der sich häufiger mal als versierter Experte für Fassadendämmung ausgibt. Mit Aussagen, die sich für Laien im ersten Moment recht plausibel anhören können, wendet er sich gern an ahnungslose Redakteure. Da diese heutzutage nahezu alle unter Zeitdruck und Dauerstress stehen, mogelt er sich so in Fernsehsendungen und Zeitungsartikel hinein. Konrad Fischer traut sich das, obwohl man sowas nicht tun sollte.
Nun freute sich am 13. Mai auch die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung in einem Artikel mit der Überschrift "Stoppt den Dämmwahn", dass auch sie ein Exklusiv-Zitat von Herrn Fischer aus seinem Fundus des Pauschalgemeckeres gegen die Hersteller von Dämmplatten abdrucken konnte: "An dem Klimbim der Dämmstoffindustrie stimmt praktisch überhaupt nichts", diktierte Fischer dem Redakteur in den Notizblock, der das auch prompt genau so in das ansonsten seriöse Blatt hievte.
Dass so ein Satz eventuell gar eine Spur unsachlich sein könnte, darauf kam FAZ-Redakteur Georg Meck offenbar nicht. Denn jemand wie Fischer, der es (Zitat) "durch Funk und Fernsehen zu einiger Berühmtheit als Kämpfer gegen den Dämmwahn gebracht hat", wird ja wohl kein dummes Zeug erzählen. Sorry, FAZ, vielleicht tut er das doch! Da hast Du Dir aber ein ganz dickes Eigentor geschossen.
Mensch Meck, Sie wissen doch: Heute kommt praktisch jeder ins Fernsehen, der Quote bringt. Ich selbst trete immer weniger vor Fernsehkameras, weil ich inzwischen zu spüren meine, dass der Quotendruck so hoch geworden ist, dass manche Fernsehredakteure zwischenzeitlich auch den Experten gerne mal ein "Skandalzitat" in den Mund legen möchten.
Eines, was der Experte bitteschön erzürnt oder entsetzt vor laufender Kamera aufsagen soll, damit die Quote stimmt. Da müssen Fassaden brennen, damit sie wenigsten annähernd soviel Aufmerksamkeit bekommen, wie Günter Wallraff, der mit seiner versteckten Kamera Schnellrestaurants öffentlich an den Pranger stellt: "Die da sind die Bösen, wir sind die Guten." Diese Form von Journalismus hat kürzlich FAZ-Blogger Stefan Niggemeier zurecht aufs Korn genommen. Nun schwappt diese Welle dubioser Enthüllungsrecherche zurück zur FAZ und dort direkt ins Wirtschaftsressort.
Stefan Niggemeier ruft derzeit ein online-Magazin ins Leben, bei dem gut recherchierte Zeitungsartikel ohne Redaktions-Zeitdruck und ohne irgendwelche Abhängigkeiten veröffentlicht werden sollen. Da macht man sich so seine Gedanken. Auch über die Zustände bei der FAZ.
Beim Studieren des FAZ-Artikels "Stoppt den Dämmwahn" kann ich mit Sicherheit sagen, dass dieser Artikel nicht gut recherchiert war. So echauffiert sich Georg Meck etwa – gestützt auf eine Studie des Prognos-Instituts – darüber, dass die Deutschen bis zum Jahr 2050 "838 bis 953 Milliarden Euro" für die energetische Sanierung von Gebäuden ausgeben würden. 953 Milliarden Euro, was für eine gigantische Zahl.
Auf den ersten Blick zumindest. Wer sich seinen Taschenrechner schnappt und die Summe durch die Anzahl der Jahre bis 2050 teilt (also 36), kommt auf eine jährliche Investition von 26,5 Milliarden Euro. Das ist immer noch viel Geld – für eine Person zumindest. Teilt man nun die 26,5 Milliarden Euro durch die Anzahl der Wohnhäuser, die damit jährlich saniert werden sollen – nämlich rund 400.000 – dann macht das pro Haus rund 66.000 Euro. Auch das ist noch viel Geld.
Diese Summe muss man nun durch zwei teilen, da durchschnittlich pro Wohnhaus zwei Wohnungen existieren. Werden die nun verbleibenden 33.000 Euro für die heute üblichen Zinsen in Höhe von etwa zwei Prozent mit einer Laufzeit von 20 Jahren finanziert, so hat man für monatlich 165,00 Euro eine picobello energetisch sanierte Wohnung mit maximaler Behaglichkeit.
Wenn dann noch die Energieeinsparung – gerade bei uralten, unbehaglichen Energieschleudern – dank Wärmedämmung um realistische 100 bis 150 monatlich zurückgehen, sollte man nicht von "Dämmwahn" sprechen und einen "Experten" wie Konrad Fischer zitieren, der solche Berechnungen als „Klimbim“ bezeichnet. Wir sprechen hier übrigens nicht von subventionierten KfW-Krediten, sondern von normalen Darlehen. Mit KfW-Krediten und Zuschüssen wird’s wirtschaftlich richtig lohnend.
Nein: Mit billiger Polemik und überheblich gewählten Formulierungen, die bei Licht betrachtet einfach nur peinlich und auf der Skala der professionellen Formulierungskunst ungefähr bei "Minus 10" liegen (Dämmplatten "anpappen", "Klimbim" und so weiter), kann man nicht punkten.
Auch das Geschrei, dass die Energieeinsparverordnung (EnEV) wegen ihrer ständigen Verschärfungen uns die Dämmung aufzwingen würde, entpuppt sich als schnell dahergeschriebene Unwahrheit. Klar, Konrad Fischer will das nicht wissen, weil er es offenbar nie nachgerechnet hat.
Wir tun es hier an dieser Stelle: Der maximal zulässige Wert für den Jahres-Heizwärmebedarf eines Wohnhaus-Neubaus lag 1995 (Wämeschutzverordnung III) bei etwa 100 Kilowattstunden pro Quadratmeter. Aktuell liegt er (EnEV 2014) bei etwa 80 Kilowattstunden, was einer Verschärfung von gerade mal 20 Prozent in 19 Jahren entspricht. Da aber die Bau- und Dämmstoffe im selben Zeitraum im Mittel um mindestens 50 Prozent leistungsfähiger geworden sind, ist die aktuelle Fassung der EnEV eine klare Entschärfung der Vorschriften. Spannend Herr Meck, oder? Man muss nur gut recherchieren.
Ich würde gerne mal mit Konrad Fischer in einer Talkshow Platz nehmen. Liebe Fernsehredakteure: Ich versichere Euch, Ihr hättet eine Super-Quote. Konrad Fischer, würden Sie sich trauen? In dieser TV-Sendung würde ich vorrechnen, dass die Deutschen, wenn sie ab sofort nicht mehr dämmen, bis zum Jahr 2050 weit mehr als 953 Milliarden unnötig verheizen, wenn ab sofort die Energiepreise nicht mehr steigen würden. Herr Fischer und Herr Meck: das ist nicht "Klimbim", das ist Mathematik.
Die FAZ-Wortwahl, dass Dämmplatten „angepappt“ würden, lässt zudem auf eine gewisse Hochnäsigkeit schließen, die zugleich ein Schlag ins Gesicht unserer Handwerker ist. Etwas mehr Distanz, auch in der Wortwahl, wäre angebracht. Denn man möchte als Journalist doch der Wahrheitsfindung dienen.
Die Wahrheit ist, dass unsere Handwerker (sofern man nicht als Schnäppchenjäger zu einem Billigheimer rennt) Dämmplatten nicht anpappen, sondern mit speziellem Mörtel sorgfältig auf den alten Putz kleben und professionell verdübeln, so dass ein bauphysikalisch funktionsfähiges Bauteil entsteht und das Gebäude für die nächsten Jahrzehnte wieder tiptop dem Stand der Technik entspricht. Vielleicht lässt man auch mal die Millionen Hauseigentümer zu Wort kommen, die sich in ihren gedämmten Häusern hoher Behaglichkeit und niedriger Heizkosten erfreuen.
Am Sonntag, 18. Mai legte Georg Meck nochmals nach und bot für Montag eine Sprechstunde an. Mit dabei Dämmwahn-Promi Konrad Fischer. (Blog-Beitrag: Rat für Leser. Wer hilft gegen den Dämmwahn?). Um 18:06 Uhr fragte Sebastian Benda: Welche ökologischen Dämmstoffe sind denn zu empfehlen? Ich will kein Styropor! Gibt es Alternativen?
Fischer antwortet kurz und bündig: "Es gibt für die Fassadendämmung keine Alternative. Lassen Sie ihre Wand einfach so, wie sie ist." Styropor sei ein Massenprodukt, alle anderen Dämmstoffe seien noch schlechter. Was für’n Unsinn: Für die Fassade sind beispielsweise – wenn man auf Öko-Dämmstoffe setzen möchte – Holzweichfaserplatten bestens geeignet, im Dach ist als eine mögliche Alternative eine Kombination aus Holzweichfaserplatte (sommerlicher Wärmeschutz) plus Öko-Glaswolle (oder Zelluloseflocken) empfehlenswert.
Nun die Ehrenrettung für die FAZ: Ebenfalls am Sonntag, 18. Mai, gab es in der Sonntags-FAZ einen hervorragenden Beitrag über die südschwedische Stadt Växjö, die als "grünste Stadt Europas" weltweit als Vorbild für Energieeffizienz und Zukunft gilt. Redakteurin Nadine Oberhuber nennt auch einen der wichtigsten "Bausteine" des Umweltkonzepts von Växjo: Passivhäuser. Und die sind ja bekanntlich richtig gut gedämmt. Auch an der Fassade. Dämmwahn in Schweden? Von wegen. Dämmung steht in Schweden genau wie in Deutschland für Umweltschutz, Energieeinsparung und Zukunft. Dämmung steht somit auch für Vernunft. Danke FAZ hierfür.
Übrigens: Die Deutschen geben bis zum Jahr 2050 rund 288 Milliarden Euro etwa für Bier aus. Auch eine gigantische Zahl: "Stoppt Zapfhahn und Bierwahn".
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