Algen und Pilze wachsen überall

Algenhaus
Im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg steht ein Algenhaus, dessen Fassade viel Aufmerksamkeit erregt. Hier wachsen Algen, die Energie für die Hausbewohner erzeugen. © Colt International
26. November 2018
Algenhaus
Im Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg steht ein Algenhaus, dessen Fassade viel Aufmerksamkeit erregt. Hier wachsen Algen, die Energie für die Hausbewohner erzeugen. © Colt International

Zu den Kritikpunkten, die regelmäßig gegen die Dämmung von Gebäuden mit Wärmedämmverbund-Systemen angeführt werden, gehört die verstärkte Algenbildung an den Fassaden. Allerdings veralgen nicht nur gedämmte Fassaden, auch an ungedämmte Fassaden und auf Dächern wachsen immer mehr Algen und Pilze.

Zurückzuführen ist dieses Wachstum darauf, dass dank moderner Rauchgasentschwefelung und weniger Kohleverbrennung heute deutlich weniger SO2 in die Außenluft gelangt als noch in den achtziger Jahren, berichtet Werner Eicke-Hennig vom Energiesparinstitut Hessen. Damit haben sich die Lebensbedingungen für die Algen deutlich verbessert.


Algen produzierten vor 3 Milliarden Jahren den ersten Sauerstoff und ermöglichten damit das menschliche Leben auf der Erde. CO2 als Nahrungsmittel gab es damals reichlich in der Ur-Atmosphäre, das Algen zu Sauerstoff und Algenmasse umbauten. Noch heute produzieren die Meeresalgen mehr Sauerstoff als alle Wälder der Erde. Es gibt mehr als 240.000 Arten, deren Nutzbarkeit für die Menschen wir erst langsam entdecken: Von der Nahrungs- und Arzneimittel- bis zur Energieproduktion.

Mit der Industrialisierung wurden die Grün-, Rot- und Blaualgenarten aus der gebauten Umwelt verdrängt, da ihnen das Umweltgift SO2 aus den Feuerungen zusetzte. Die Säurefracht aus der Luftverhinderte die Ausbreitung von Algen und Pilzen auf Fassaden.

Mit der Rauchgasentschwefelung unserer Kraftwerke in den achtziger Jahren, der Umstellung der Heizungen auf Öl und Erdgas und der Stilllegung der Kohlefeuerungen im ehemaligen Ostblock haben sich die Lebensbedingungen für Algen im menschlichen Siedlungsraum wieder verbessert. Dies wird sich mit der in der Energiewende geplanten Stilllegung von Kohlekraftwerken fortsetzen. Auch die Klimaveränderung fördert das Algenwachstum mit ergiebigeren Nässeperioden, erhöhter Luftfeuchte und einem erhöhten CO2-Gehalt der Atmosphäre. In geringem Maße begünstigen auch Stickoxyde aus der Landwirtschaft und Feinstäube aus Fahrzeugmotoren das Algenwachstum.

Algen zerstören an ihren Besiedelungsflächen nichts. Sie haften nur leicht auf den Materialien und dringen in Unebenheiten ein. Sie werden an den Fassaden als optisches Problem wahrgenommen und beschäftigen seither die Diskussion um Wärmedämmung. Obwohl ab Ende der achtziger Jahre Algen zunächst die Dächer besiedelten, wurden sie erst wahrgenommen, als sie auf gedämmten Außenwänden anzutreffen waren.

Auch ungedämmte Wände veralgen zunehmend


Gedämmte Fassaden veralgen weit schneller als ungedämmte, weil sie bestimmungsgemäß auf ihrer Oberfläche kälter und damit durch nächtliches Tauwasser und langsamere Abtrocknung von Regenwasser längere Zeiten nass sind. Heute finden wir Algen jedoch auf allen Außenbauteilen. Fast 70 Prozent unserer Dächer sind veralgt, ihr dunkler Belag schlägt gerade vielerorts ins Grüne um. Immer mehr Vorhangfassaden veralgen. Die Schweizer EMPA zeigte schon 1999 das Beispiel einer Vorhangfassade, die ein veralgtes WDVS sanieren sollte und daraufhin weitaus kräftiger selbst veralgte. Dachflächenfenster veralgen, Gehwege, Büsche, Bäume, Verkehrsschilder, Tore, Zäune veralgen auf der nassen Wetterseite. Und seit einigen Jahren beginnen auch die ungedämmten Fassaden zu veralgen.

In wenigen Jahren wird die Veralgung auch ungedämmte Außenwände erkennbar erfasst haben. Dann wird deutlich, dass es keine natürlichen Gegenmittel gibt, von größeren Dachüberständen einmal abgesehen. Auch Dickputze, denen man bisher eine algenverhindernde wärmespeichernde Wirkung angedichtet hatte und alkalische Oberflächen veralgen, Holz veralgt, speichermassereiche Bauteile veralgen. Algen wachsen vor allem auf Nord- und Westwänden, mit geringer solarer Einstrahlung im Herbst/Winter.

Bisher versuchte man, die Veralgung von Wärmedämmverbundsystemen durch die Beimischung von Fungiziden in Farben und Putze zu verhindern, doch dieses Vorgehen geriet schnell in die mediale Kritik. Gemessene Fungizide im Siedlungsabwasser wurden ausschließlich dem WDVS zugeordnet, ohne Kenntnis der Herkunft der ermittelten Mengen. Hier gibt es viele Quellen im Siedlungsraum: Steildächer, Flachdachbahnen, Wurzelschutzbahnen im ökologischen Gründach. In jeder Jalousie oder jedem Sonnensegel schützen Fungizide, jeder Farbeimer enthält  als "Topfkonservierer" unterschiedlichste Fungizide, Gärten und Kleingärten sind ein ausgiebiger Fungizidquell, ebenfalls Haushaltsanwendungen, wie Waschen von Gemüse, Haushaltsschwämme und so weiter.

Der Einsatz von langlebigen, in der Landwirtschaft verbotenen Fungiziden an Fassaden wird kritisiert (Terbutryn). Auf Äckern müssen diese Fungizide jedoch wegen der Regenauswaschung jährlich wieder neu eingebracht werden, Langlebigkeit der immer wieder in die Bodenschichten eingespülten Gesamtmenge der Fungizide ist folglich ein Problem. An der Fassade garantiert sie ganz im Gegenteil, dass die einmal eingebrachte Fungizidmenge lange Zeit in geringen Dosen über 10-20 Jahre an der Fassadenoberfläche zur Verfügung steht.

Fungizide an Fassaden werden für einige Jahre die Lösung sein, bis noch weniger umweltbelastende Methoden sie ersetzen. Schon heute sind photokatalytische Verfahren bekannt und erprobt, die keine Schadstoffe an die Umwelt abgeben. Es gibt bereits einen entsprechend ausgerüsteten Pflasterstein, der den Abbau von Stickoxyden in der Luft bewirkt. Unsere Gewässer werden noch lange mit Fungiziden aus der Landwirtschaft, vielen Haushaltsanwendungen und Bauprodukten belastet sein, wenn wir an der Fassade zu photokatalytischen Verfahren der Algenfreihaltung übergegangen sein oder die Alge an der Fassade produktiv nutzen werden.

Quelle: Werner Eicke-Hennig, Energieinstitut Hessen

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