Mut zu mehr Vielfalt
Fassadendämmung, so heißt es, bedeute den Untergang der architektonischen Vielfalt. Doch die ist schon lange auf dem Rückzug, aus Gründen, die so komplexer sind, dass sie nicht zur Skandalisierung taugen. Denn Vielfalt braucht zuvorderst Mut, Können, Kreativität.
Mitunter haben sie ja recht, die lauten Kritiker der Fassadendämmung. Manche Fassaden zeigen sich nach der energetischen Sanierung doch recht platt und einfallslos – wobei: Meist war die Trostlosigkeit schon vor der Dämmung da, was aber bis dahin niemanden interessierte, geschweige denn eine mediale Skandalisierung wert gewesen wäre. Optionen, die so genannte gebaute Umwelt ansprechend, vielgestaltig, individuell, spannend und ästhetisch zu gestalten, gibt es weiland genug.
Nur: Das kostet. Nicht mal unbedingt mehr Geld, aber mehr Kreativität, mehr Können, mehr Mut und Engagement. Gestaltung macht Arbeit – auf allen Ebenen. Beim Planer, beim Investor oder Bauherr, bei der Baubehörde, beim Rohbauer und Handwerker. Bedenken, Lustlosigkeit oder einfach Unvermögen führen dann zum berüchtigten kleinsten Nenner, zur Belanglosigkeit und Banalität. Unsere Städte, Dörfer und Landschaften sind voll davon. Leider.
Dabei existieren auch zahlreiche positive Beispiele, gerne auch „Leuchttürme“ genannt, weil sie das Meer der Tristesse überragen und vor den überall lauernden ästhetischen Untiefen warnen. Eigentlich. Doch weil die Leuchttürme den schmalen Weg zur Vielfalt nur diffus beleuchten, bleibt man lieber auf dem augenscheinlich sicheren Mainstream-Highway. Nicht erkennend, dass dieser vor allem Verzicht bedeutet, nicht Gewinn. Verzicht auf eigenständige Ideen, ja auf eine bessere Baukultur, die nicht nur von Leuchttürmen leben sollte.
Dieses Verzicht-Verhalten ist umso seltsamer, da das Streben nach Indiviudalität in unserer Gesellschaft ansonsten einen extrem hohen Stellenwert besitzt. Oder zu besitzen scheint – denn die meisten Individualisierungs-Trends entpuppen sich bei genauerem Hinsehen als Mainstream-Hypes mit strengen Konventionen und minimalem Raum für wirklich individuelle Ausformungen. Schrillheit ersetzt dann Inhalt.
Dies übrigens lässt sich auch am Bau beobachten: Die Flut uniformer Einfamilienhäuser wird aufgepimpt durch schräge Carports oder laute Farben. Aber ein knallendes Rot beispielsweise ist nicht Ausdruck von Individualität, sondern lediglich eine Spielart der Einfallslosigkeit, der Unsensibilität und auch der Ignoranz gegenüber der Umgebung, der Baukultur, der Fülle an Gestaltungsmöglichkeiten, die uns heute zur Verfügung stehen.
Farbe ist mehr als Vollton, Bauen mehr als das Schaffen von Raum und Dämmung ist nicht verantwortlich für die Verarmung. So laut das öffentliche Jammern und Zetern der Dämmzweifler, so selbstgefällig bleibt es, weil es „Schuld“ sucht, dogmatisiert und im Waber des Ungefähren bleibt. Um die Banalität des Bauens wirklich anzugehen, muss man weit unten starten. Beim allgemeinen Kulturverständnis, bei der Bildung, der Sensibilisierung, bei der normativen Kraft des Faktischen. Doch das ist komplex – zu komplex, um es auf eine schlichte, skandalisierbare Formel bringen zu können. Und es würde etwas sehr unangenehmes voraussetzen: Alle Protagonisten müssten sich mit ihrer eigenen Rolle im großen Strudel der Verarmung auseinandersetzen. Wer aber wagt das?
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