Armin Scharf

Mut zur Grobheit

Armin Scharf, 04. März 2016

Der Konformismus ist wieder da – und war doch nie richtig weg. Zumindest nicht beim Bauen, wo der mittelkörnige Kratzputz schon immer das Maß der Dinge darstellt. Dabei bieten Putze eine faszinierende Vielfalt an Oberflächen und Strukturen, an Haptiken sowie optischen Überraschungen. Und all dies widerspricht nicht der Wärmedämmung darunter.

Alles gleich – Konformismus duldet kein Anderssein, nichts, was aus dem Mainstream ausbricht. Das gilt gesellschaftlich, aber auch architektonisch. Unter dem Deckmantel der Ortsbausatzungen haben viele Kommunen oft fachlich zweifelhafte Regelwerke erlassen, die nahezu jede Individualität beim Bauen verhindern. Die Form des Türknaufes und der Außenleuchte ist (noch) anarchisch ungeregelt, dafür alles andere festgezurrt. Über die Einhaltung von Dachneigung, Fassadenfarbigkeit oder -struktur wachen neben den Baubehörden auch die Nachbarn.

Wehe, wenn die Fassade zu hell ist, zu dunkel, zu bunt – dann herrscht Konformismus-Alarm. Natürlich polarisieren Farben, Strukturen – selbst erwiesene Laien glauben, unfehlbare Urteile abgeben zu können, nicht erkennend, dass es sich dabei lediglich um Äußerungen auf dem Niveau „gefällt mir nicht“ handelt. Auf der Basis Gefallen oder gar Geschmack lässt sich zwar handfest streiten, aber kein differenziertes Votum erstellen.

Am Konformismus der Fassade sei auch, so ist immer wieder zu hören, die Wärmedämmung schuld. Sie nehme dem Planer die kreative Luft, schränke ein, ja sei ein Knebel der Kreativität. Der Verzicht auf Wärmedämmung, so der Umkehrschluss, würde die Kreativität im baulichen Alltag zu nie gekannter Blüte treiben, die Städte und Dörfer nicht nur „schöner“, sondern auch einzigartiger, individueller, „besser“ machen. Ein gewaltiger Trugschluss, denn nicht fehlende Möglichkeiten, sondern der Mix aus Ideenarmut, Mutlosigkeit sowie Unkenntnis liegen als eigentliche Treiber der Uniformität näher.

Die Kalkbreite in Zürich präsentiert sich mit einer raffinierten Struktur aus dreilagigem Kalkzementputz. Dabei wird die Struktur durch farbliche Differenzierung betont. Das Koinzept dafür kommt von Jörg Niederberger, Farbkünstler aus dem schweizerischen Büren. © bueroscharf.de
Die Kalkbreite in Zürich präsentiert sich mit einer
raffinierten Struktur aus dreilagigem Kalkzementputz.
Dabei wird die Struktur durch farbliche Differenzierung betont.
Das Koinzept dafür kommt von Jörg Niederberger, Farbkünstler
aus dem schweizerischen Büren. © bueroscharf.de


Dass es auch anders geht, zeigt der Blick über die Grenzen, beispielsweise zu unseren eidgenössischen Nachbarn, wo man offenbar mehr Gefallen an ungewöhnlichen Oberflächen aus Putzen hat und diese Kultur intensiv pflegt. Dort finden sich an aktuellen Fassaden intensive Strukturen in gröbsten Körnungen, gepaart mit feinen Körnungen, farbiger Leichtigkeit oder sich überlagernden Farbflächen.

Und all dies passiert wie selbstverständlich auf einem Untergrund mit Wärmedämmung, dessen Potenzial hier ersichtlich wird. Nur in den seltensten Fällen handelt es sich dabei um echte Experimente, denn auch in der Schweiz hat Sicherheit einen hohen Stellenwert. Planer und ausführende Fachhandwerker üben sich eher im Ausloten der Grenzen erprobter Systeme und verschieben diese Grenzen von Projekt zu Projekt ein Stückchen weiter. Gerade so viel, dass Risiken vermieden werden, aber Neues entstehen kann. Es geht eben doch.

 

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