Armin Scharf

Ein Lob den Algen

Armin Scharf, 18. Mai 2016

Eigentlich sollten wir Algen bewundern. Schließlich sind sie wahre Wunderwerke der Natur, extrem anpassungsfähig, widerstandsfähig und vor allem genügsam. Sie binden Kohlenstoffdioxid und produzieren Sauerstoff – und doch mögen wir sie nicht wirklich, vor allem nicht auf Fassaden.

Eigentlich sollten wir entspannt sein. Unsere Gebäude werden immer energieeffizienter dank hoch gedämmter Fassaden, die bei guter Ausführung und Pflege über Jahrzehnte mangelfrei sind und zu geringen Betriebskosten beitragen. Wäre da nicht die Alge.

So klein sie auch ist, sie stört. Denn auch wenn sie alleine kommt, sie bleibt es nicht lange: Schnell etabliert sich auf ausgewählten Fassadenflächen eine ganze Algengemeinde, die allerlei Anlass für Empörung und Jammer bietet. Eigentlich harmlos, wird die Alge so umgehend zum optischen Makel, weil ihre grünlich-braune Anmutung kaum mit den ästhetischen Vorstellungen der Bauherren oder Planer kompatibel ist.

Doch diesen Reibungspunkt abzustellen erweist sich als zähes Vorhaben. Denn die Alge ist hartnäckig, weil im Grunde anspruchslos, reichen ihr doch drei Faktoren für ein zufriedenes Leben: Feuchtigkeit, Nährstoffe und Licht. Und davon gibt es auf Fassaden in der Regel reichlich – vor allem an Nordseiten von Gebäuden, in der Nähe zu Wald, Gewässer oder Landwirtschaftsflächen. Zum Algenland mutieren nicht ausschließlich, aber in der Regel jene gedämmten Fassaden, die uns seitens der Energieeinsparung so erfreuen.

Die Erklärung ist einfach: Die Dämmung verhindert den Abfluss von Wärme aus dem Innenraum, wodurch die Fassade nicht mehr „beheizt“ wird, damit kälter bleibt und länger von Regen oder Tau überzogen ist. Das wiederum wissen die findigen Mikroorganismen überaus zu schätzen und richten sich ein. Auf Dauer, denn was Algen einmal erobert haben, geben sie kaum wieder her.

Was kann man tun? Reinigen, überstreichen, fertig? Der Triumph über die Natur währt begrenzt, denn die Alge kehrt zurück, weil an den Rahmenbedingungen nichts geändert wurde. Man kann chemische Wirkstoffe einarbeiten, die der Alge schlichtweg das Leben vergrämen – doch diese Option ist so unelegant wie inzwischen überholt. Denn heute bieten sich andere Beschichtungsmaterialien an, die an die eigentlichen Ursachen gehen. So werden aktuelle Farben so rezeptiert, dass sie weder biologisch verwertbaren Stoffe enthalten, noch deren Anhaftung auf der Oberfläche begünstigen.

Und sie sorgen dafür, dass Feuchtigkeit schnell verschwindet. Dabei hilft der Blick in die Natur, die Bionik ist längst auch bei den Farbenherstellern angekommen und hat superhydrophobe Materialien ermöglicht, die Schmutz- und damit Nährstoffanhaftungen verhindern sowie die Trocknung der Fläche begünstigen – oder sie erst gar nicht feucht werden lassen.

Und da hilft auch schon mal ein Käfer aus der extrem trockenen Namibwüste auf die Sprünge. Der zwei Zentimeter große Nebeltrinkerkäfer (Onymacris unguicularis) nutzt die Kühle des Wüstenmorgens und lässt die spärliche Luftfeuchtigkeit an seinem gerillten Panzer kondensieren. Weil er dabei einen Kopfstand macht, läuft das Kondensat gezielt über die feinen Rillen ab und kann von ihm als Trinkwasser genutzt werden.

Dieses eigenwillige Verhalten in die technische Welt übersetzt, mündet in einer Fassadenfarbe mit mikrostrukturierten Oberfläche, auf der sich Regen oder Tau nicht sammeln kann, stattdessen großflächig verteilt und schnell abgeführt wird. Damit entzieht die Beschichtung den Algen die Lebensgrundlage, ganz ohne zusätzliche Wirkstoffe – und vor allem dauerhaft.

Selbstredend kann man auch nichts tun, sich stattdessen des gedeihenden Fassadenbiotops erfreuen und es souverän als gestaltendes Element einbeziehen. Oder man versucht es mit traditionellen Methoden: größere Dachüberstände sind nach wie vor probate Mittel der Prophylaxe und Heilung.

 

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