Armin Scharf

Die Sache mit der Baukultur

Armin Scharf, 02. Januar 2013

Wer Fassaden dämmt, beteiligt sich am Untergang der Baukultur. Falsch, denn architektonische Vielfalt entscheidet sich an ganz anderer Stelle. Etwas Provokation vorneweg: Jahrzehntelang ließen es Architekten zu, dass Städte und Neubaugebiete immer gesichtsloser wurden, dass Fassaden tatsächlich nur noch Hülle waren für die inneren Werte der Gebäude, mit denen es oft auch nicht weit her war.

Und jetzt soll die Fassadendämmung der Baukultur endgültiger Tod sein, weil die ästhetische Gleichschaltung drohe? Das, mit Verlaub, erscheint doch etwas vermessen zu sein. Sagen wir mal so: Es kommt immer darauf an, was man mit den zur Verfügung stehenden Mitteln so macht. Das war schon beim Beton so und ist bei Wärmedämm-Verbundsystemen nicht anders. Selbstverständlich kann man eine Fassade einfach nur überdämmen, sie aller Gliederungen berauben und mit einem Standardputz überziehen, möglichst im Farbton Hellbeige oder im berüchtigten „gebrochenen Weiß“.

Das wird so gemacht, keine Frage. Aber natürlich geht es auch anders – dann, wenn die beteiligten Planer, Verarbeiter und auch Bauherren sensibel genug sind, sich nicht mit der Banalität abzufinden oder die billigste aller Lösungen für ausreichend erachten. Wer als Planer öffentlich beklagt, ein dämmindustrieller Komplex nötige unserer Gesellschaft bauliche Einfalt auf, diskreditiert sich selbst und bewegt sich bedenklich in Richtung Verschwörungstheorie.

Wer angesichts der gestalterischen Möglichkeiten, die Wärmedämm-Verbundsysteme heute bieten, ernstlich von Verarmung spricht, der hat sich vermutlich noch nie mit den Optionen wirklich auseinandergesetzt. Dieses Abtauchen in die Niederungen der Bauelemente, der Werkstoffe und Systeme ist nicht einfach, gewiss. Dass es aber renommierte Architekten gibt, die mit dem WDVS intensiv und auch kreativ arbeiten, dabei ganz eigenständige Kreationen entwickeln, zeigt allein schon der Blick in die aktuellen Fachmagazine. Die Gleichung „Fassade + WDVS = Ende der Baukultur“ lässt sich schlichtweg nicht auflösen und manövriert die Baukultur letztlich erst recht in die Sackgasse.

Während dieses Lamento auf der feuilletonistischen Meta-Ebene immer wieder aufgewärmt wird, tut sich „draußen“ erstaunliches. Planer entdecken die angeschrägten Fensterleibungen wieder, wie sie die Altvorderen im Engadin schon immer setzten, damit das Licht besser in das Innere finde. Dreidimensionale Modellierungen der Flächen, Facettierungen, Negativ- oder Positiv-Profile liefern ein Instrumentarium, das sich sehr individuell spielen lässt.

Dazu gesellen sich unterschiedliche Materialien wie Glas, Naturstein, Mosaike oder Klinkerriemchen, mit denen sich neben dem Putz auch andere Oberflächen realisieren lassen, wenn es sich dabei auch nur um „Furniere“ handelt. Selbst der Putz bietet in Kombination mit einer reichen Farbigkeit, die inzwischen auch fast schwarze Fassaden einschließt, eine enorme Optionsbreite – dazu gehören auch extrem raue, grobkörnige Varianten, die eine intensive Plastizität erzeugen. Letztlich hängt die Gestaltungsqualität ab von der Kreativität des Planers und der Fähigkeit, Bauherren zu überzeugen.

Vielleicht sind WDVS nicht der Lösung letzter Schluss, vielleicht verfügen wir in zehn Jahren über ganz andere technologische Lösungen. Mag sein. Bis dahin aber wäre „weniger Drama“ angebracht – und wer mehr Optionen sucht, sollte herausfordern, Verarbeiter, Lieferanten und Bauherren. Dann wird Bauen wieder spannend – und vielfacettig.

 

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