Armin Scharf

Dämmen bedeutet Vielfalt ermöglichen

Armin Scharf, 14. Februar 2013

Gestaltungsfreiheit am Bau gibt es nicht wirklich, wohl aber Gestaltungsvielfalt. Und dafür bieten Dämmsysteme eine erstaunlich breite Klaviatur der Mittel, die sich eben nicht in möglichst bunten Farbigkeiten ausdrückt.

Fassade mit horizontalem Besenstrich
Horizontaler Besenstrich wertet Putzflächen auf.
© Armin Scharf

Gestaltungsfreiheit ist ein großes Wort, das im architektonischen Kontext mehr verspricht als die Realität halten kann. Denn richtig frei ist bekanntlich nur die Kunst – und selbst die bettet sich ein in ein gesellschaftliches Umfeld, das Kunst erst ermöglicht, herausfordert und zur Reflektion dringend benötigt.

Wer baut, strandet alsbald an den Gestaden der Vorschriften und Normen, an den Grenzen des Machbaren, der Bauphysik, der Funktionalitäten oder des Etats. Kurzum: Es gibt keine echte Gestaltungsfreiheit und wird sie auch nie geben, solange Architektur ihrem Zweck gerecht werden will, nämlich eine Hülle für das Leben zu sein. Genau genommen benötigt Gestaltung sogar die "harten Rahmenbedingungen", weil sie Eckpunkte braucht, um sich immer wieder neu zu erfinden. Kreativität entsteht nicht angesichts unbegrenzter Möglichkeiten, sondern aus der Beschränkung heraus.

Sprechen wir also nicht von Gestaltungsfreiheit, sondern besser von Gestaltungsvielfalt, die noch nie so groß war wie heute. Innovationen auf allen Feldern des Bauens machen Architektur möglich, die bis vor zwei Dekaden allenfalls als visionäre Serviettenscribbels durchgingen. Und das betrifft nicht nur verschwurbelte Formen, die statische Grundgesetze zu negieren scheinen. Auch die Fassade erfreut sich neuer Möglichkeiten, neuer Werkstoffe, neuer Oberflächen und neuer Farben. Beste Voraussetzungen für Vielfalt also, sollte man meinen. Aber die Sache ist nicht so einfach.

Schaut nur her, was alles geht, rufen uns quer durch die Republik knallbunte Häuser zu. Besser gesagt: schreien es heraus, heraus aus städtischen Ensembles, kakophonischen Eigenheimidyllen oder gewachsenen Dorfstrukturen. "Anything goes" ist dann nicht mehr Ausdruck gestalterischen Zugewinns, sondern der Beliebigkeit und falsch verstandener Individualität.

Flusslofts im Tübinger Mühlenviertel
Bunt geht es zu in der städtebaulichen Entwicklung.
© Ben Baumann

Längst ist das Haus, die Fassade, die Farbe zu einem Instrument der Abgrenzung und Aufmerksamkeitsressource geworden. Waren Neubaugebiete vor nicht allzu langer Zeit Einöden in beigestichigem Weiß, so sind sie nun kunterbunt. Hier ein dunkles Rot, dort ein Legoblau, möglichst noch Gelb und das inzwischen obligate Gelbgrün – alles ist machbar, Herr Nachbar.

Unseren Altvordern gaben Baumaterialien wie Stein oder Holz die Klaviatur der Farbigkeit vor, was diese in engen, meist regional typischen Grenzen hielt. Inzwischen sind Tragwerk und Gebäudehülle in der Regel zwei Paar Schuhe, das eine hat mit dem anderen wenig zu tun.

Genau diese Trennung liefert die Grundlage der Gestaltungsvielfalt – im positiven wie im fragwürdigen Sinne. Gerade Wärmedämm-Verbundsysteme mit ihren nahezu frei gestaltbaren Oberflächen sind wichtige Träger dieser Vielfalt an Strukturen, Farbtönen und auch Materialien. Entgegen des Klischees der ästhetischen Verarmung durch die Montage von WDVS spielen sie die Rolle des Ermöglichers.

Es entsteht keine Einheitsfassade – sondern Wärmeschutzhüllen, die sich harmonisch in die regionale Bautypologie einfügen. Mal in Klinkeroptik, mal mit Putzoberfläche.

Letztlich ist es nur eine Frage des Wollens und Könnens, um das gestalterische Potenzial gedämmter Fassaden auszuloten. Die Kombination verschiedener Putzstrukturen lässt Flächen im Licht spielen, eine nuancenreiche Farbgebung stimuliert das Auge, dreidimensionale Topografien gliedern die Fassaden plastisch.

Vielfalt beginnt im Makro-Bereich, auf der einzelnen Fassade, manifestiert sich auch in Details, die wie ein Subtext zur Stimmigkeit des Bildes beitragen. Aufgepimpt und charakterlos wirken da die auf kurzlebigen visuellen Reiz zielenden Buntfassaden. Zudem sie genau das nicht sind, was die Bauherren wohl im Schilde führen: Individualität zu reklamieren.

 

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