Ronny Meyer

"Bauen 4.0" ist auch auf kleinen Baustellen machbar

Ronny Meyer, 12. Juni 2018

Die Digitalisierung kann Arbeitsabläufe auch auf kleineren Baustellen optimieren und Handwerksleistungen steigern, sobald alle mitmachen. Der Immobilienmakler könnte künftig zusammen mit dem Energieberater als Betreiber einer zentralen Datencloud für Sanierungsvorhaben den Hut aufhaben – Der Versuch einer Prognose.

Die Digitalisierung im Bauwesen begann 1937. Bauingenieur Konrad Zuse konstruierte damals in Berlin eine „programmgesteuerte Rechenmaschine“, um das zeitaufwändige Aufstellen statischer Berechnungen zu automatisieren. Mit seinem „Z1“ konnte Zuse einen Rechenprozess pro Sekunde maschinell erledigen lassen. Unbedingt anschauen: https://www.youtube.com/watch?v=Pchhg-ffy6Q.

Den Rest der Geschichte kennt jeder: Die Leistungsfähigkeit der Rechner nahm von Jahr zu Jahr zu: 1969 konnte man computergesteuert bis zum Mond fliegen. Und Google findet heute innerhalb von Sekundenbruchteilen nach der Eingabe eines Suchbegriffes – beispielsweise „Wärmedämmung“ – mehrere Millionen Treffer.

So kann ein virtuelles Gebäudemodell aussehen.
© AEC3 GmbH

Vom Pizzalieferdienst bis zur medizinischen Forschung wird mit Erfindergeist und visionärer Kreativität die Digitalisierung genutzt und weiterentwickelt. In der Baubranche herrscht jedoch noch überwiegend eine gewisse Zurückhaltung und so erklingen auch selbstkritische Töne, man würde hier einen Trend verschlafen.  Dabei hat jeder Handwerker, Bauträger und Architekt schon von „BIM – Building Information Modelling“ und von „Bauen 4.0“ gehört, viele Unternehmen haben die Digitalisierung zur Chefsache erklärt.

Mit BIM können alle Informationen für ein Bau- oder Sanierungsvorhaben in einer zentralen Datenbank zusammengetragen und dauerhaft gespeichert werden. Das Ziel von BIM ist, dass die komplexen Planungs- und Bauprozesse einer Baustelle, aber auch die Wartung und die Instandhaltung während der Gebäude-Nutzungsphase bis zum endgültigen Rückbau am Schluss des Nutzungszyklus, übersichtlich gelistet, visualisiert und somit in jeder Richtung optimiert werden.

Energieberater nimmt Gebäudedaten auf – und dann ist Schluss

Bestandsaufnahme: Große Baukonzerne, Bauprojekt-Entwickler, die Bauindustrie und auch größere Bauträger stellen ihre Weichen bereits konsequent in Richtung Zukunft. Beim „individuellen Sanierungsfahrplan“ (iSFP), dem neuen Vorzeige-Instrument der Bundesregierung, um Klimaschutz und Energieeffizienz auch bei kleineren Wohnhäusern nach vorn zu bringen, ist das nicht so.

Es gibt zwar Softwareprogramme, mit denen nach erfolgter Aufnahme der Gebäudedaten durch den Energieberater die Schritte einer energetischen Modernisierung ermittelt werden können. Doch danach ist Schluss. Wenn der Handwerker ins Spiel kommt, geht die Datenaufnahme erneut los. Eine „iSFP-Software“ mit Datenübergabe an Architekt und Handwerker gibt es nicht. Das geht finanziell zu Lasten der sanierungswilligen Hauseigentümer.

Unnötige Kosten gibt es auch im Bereich des Handwerks: Auto fahren und im Stau stehen, Aufmaß auf der Baustelle, Angebote schreiben und erläutern, Werkzeuge und Maschinen zusammenpacken, Materialeinkauf, Lkw laden, Material auf der Baustelle suchen, fehlendes Material nachkaufen: „Nur knapp ein Drittel seiner Zeit“, hatte schon vor einem Jahr der SPIEGEL recherchiert, „verbringt ein Handwerker mit Mauern, Malern oder Verputzen.“ Die gute Nachricht: Es gibt ein enormes Einspar- und Optimierungspotential, das vermutlich bei über 50 Prozent liegt.

Passende Software-Lösungen könnten helfen, dass Baustellen effizienter werden und zugleich das Nachwuchsproblem am Bau spürbar abfedern, wenn der Handwerker nicht mehr organisieren muss, sondern endlich nur noch bauen darf. In letzter Konsequenz kommt der Handwerker künftig erst dann ins Spiel, wenn seine handwerkliche Tätigkeit gefragt ist.

Die Entwicklung dorthin ist keine Zukunftsmusik mehr. Immobilienmakler nutzen bereits die Möglichkeit der digitalen Datenaufnahme mittels 3-D-Laserscanner, um eine fotorealistische Darstellung des Gebäudes im Ist-Zustand, aber auch im geplanten Zustand zu zeigen. Ausgehend von dieser Visualisierung ergänzt künftig der Energieberater alle Informationen, die für eine energetische Modernisierung relevant sind.

Das Ziel ist, aus den Gebäudedaten, die dann nur einmal aufgenommen werden, ein vollständiges Modernisierungskonzept zu erstellen, das alle Informationen über den Bauablauf und das benötigte Material bis zur letzten Schraube geben kann.

Junge Leute kommen von ganz allein – vier neue Schnittstellen

Die Baubranche braucht junge Leute – vor allem an den Rechnern, um die Bauszene zu Ende zu programmieren. Denn vom iSFP bis zur Fördermitteldatenbank, von der Handwerks- bis zur Handelssoftware gibt es bereits alle notwendigen Programme, die  man jetzt nur noch miteinander verbinden muss. Sobald man diese Tür öffnet, kommt der Nachwuchs vermutlich von ganz allein. Denn es ist von hoher Attraktivität, Neuland zu entdecken und dafür auch noch gut bezahlt zu werden. Und dann wird sich das Bauen und Modernisieren radikal verändern (neudeutsch: Transformation).

Ein mögliches Szenario: Der Immobilienmakler richtet zusammen mit dem Energieberater eine zentrale Datencloud ein, an die sich der Architekt – Schnittstelle 1 – andocken kann. Dieser plant nun den Umbau, speichert den jeweils aktuellen Planungsstand in der zentralen Cloud. Alle Material- und Bauteil-Infos werden seitens der Industrie bereitgestellt.

Der Energieberater greift als Datenverwalter auf die vollständigen Planungsinformationen zu und kann etwa den iSFP oder den Energieausweis anfertigen. Die zweite Schnittstelle führt zum Handwerker, die dritte zum Finanzierer, der in kürzester Zeit maßgeschneiderte Finanzierungspakete inklusive Berücksichtigung aller verfügbaren Förderprogramme zusammenstellen kann.

Die vierte Schnittstelle führt zum Baustoffhandel, der eigenständig immer genau dann das Material liefert, wenn es gebraucht wird. Der Handwerker oder der Bauleiter brauchen sich darum künftig ebenfalls nicht mehr zu kümmern.

Der Immobilienmakler wird zum „Modernisierungsmakler“

Und nun der Versuch einer Prognose: Der Immobilienmakler könnte, eventuell zusammen mit „seinem“ Energieberater, in der digitalen Bauwelt den Hut aufhaben. Er wird zum „Modernisierungsmakler“, da er zusätzlich zum Gebäude auch sämtliche Daten, Dienstleistungen, das Material und auch die Handwerker rund um die Modernisierung vermittelt.

Hierfür ist es natürlich notwendig, dass der Modernisierungsmakler eine spezialisierte Qualifikation erwirbt. Alternativ könnten sich auch Schornsteinfeger mit diesem Ansatz ein neues Beschäftigungsfeld erschließen – oder Amazon. Je nachdem, wer schneller ist.

„BIM“, „Bauen 4.0“ und digitales Handwerker-Management als Komplettlösung sind einerseits zwar noch eine Vision, zugleich aber kurzfristig machbar. Wir brauchen nur einen „Konrad Zuse 2.0“. Der „Z1“ konnte im Jahr 1937 einen Rechenprozess pro Sekunde durchführen. Computerleistung heute: 33 Billiarden (33.000.000.000.000.000) Rechenprozesse – pro Sekunde. Die technischen Möglichkeiten sind vorhanden, um die vier fehlenden Schnittstellen einzurichten und zum Laufen zu bringen – es müssen jetzt nur noch alle mitmachen.

 

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