Es gibt keine „atmenden Wände“ – „atmende Fenster“ schon
Oft gehört: „Wenn eine Polystyrol-Dämmplatte an einer Hauswand angebracht wird, dann kann die Wand nicht mehr atmen. Und das ist schlecht fürs Raumklima.“ Das klingt irgendwie logisch und ist so ziemlich der am weitesten verbreitete Irrtum rund ums energiesparende Bauen und Modernisieren.
Wer die Ursache dieses Irrtums recherchieren möchte, findet einen guten Beitrag bei Wikipedia („Atmende Wand“).
In jedem meiner Vorträge, ob Fachvortrag oder Bauherren-Info-Abend: irgendwann kommen wir im Zusammenhang mit der Fassadendämmung auf die „atmenden Wände“ zu sprechen. Irgendwann poltert immer ein Teilnehmer los und wettert gegen den „Dichtwahn“ und dann muss man ganz sachlich antworten.
Zunächst: Der Begriff „atmen“ ist in jedem Fall falsch. Weil es keinen Luftzug durch die Wand wie beim Atmen gibt. Okay, das wird verstanden und akzeptiert. Und überhaupt: Stichwort „luftdichte Gebäudehülle“. Würde es einen nennenswerten Luftzug durch die Gebäudehülle geben, so wäre das ein Baumangel, der bitte sofort behoben werden muss.
Nun gibt es meist einen gedanklichen Kurswechsel. Wir sprechen nicht mehr vom „Atmen“, dafür aber vom „Feuchte-Austausch“, der durch die Wand stattfindet (stattfinden muss?). Jetzt brauchen wir eine Erklärung, die auch für Laien nachvollziehbar ist. Am besten verzichtet man auf Formeln und Fachbegriffe (nicht jeder kennt die Definition von relativer und absoluter Luftfeuchtigkeit). Los geht‘s:
Wasser ist als unsichtbarer Dampf ein Bestandteil der Luft. Wasser ist also immer in einer bestimmten Menge in unserer Luft enthalten. Damit das Raumklima angenehm ist und bleibt, muss das Wasser, das wir beim Duschen, Kochen und Schwitzen zusätzlich an die Raumluft abgeben, irgendwie aus dem Raum wieder abgeführt werden.
Nun die große Frage: Um welche Menge Wasser geht es dabei überhaupt? Die Experten sprechen von fünf bis zehn Liter Wasser pro Tag in einem durchschnittlichen Haushalt (2,1 Personen). Das klingt erstmal viel.
Bauphysik-Experten wissen, dass maximal ein bis drei Prozent dieser Zusatzfeuchte über die Wand abgeführt wird. Egal, ob das Haus gedämmt oder ungedämmt ist. Meist wird diese ein-bis-drei-Prozent-Wasser-Menge (50 bis 300 Milliliter pro Tag) vom Innenputz oder vom Holz im Innenraum aufgenommen und wieder (meist nach innen) abgegeben. Maximal 300 Milliliter gehen pro Tag in die Wand. 97 bis 99 Prozent der Zusatzfeuchte wird durch die Fenster (oder eine Lüftungsanlage) herausgelüftet.
Bleiben wir bei den maximal 300 Milliliter, die in die Wand gehen. Bei einer Fassadenfläche von rund 100 Quadratmetern sind das 3 Milliliter pro Quadratmeter und Tag. Das entspricht dem Volumen von drei Würfeln mit einer Kantenlänge von nur einem Zentimeter. Ich besitze einen winzigen USB-Stick mit (ich hab‘s nachgemessen) etwa 7,5 Milliliter Volumen. Jetzt hat man eine Vorstellung, um welche Menge es überhaupt geht. Es ist bestenfalls ein kleiner Spritzer Wasser pro Quadratmeter und Tag.
Polystyrol ist dampfdiffusionsoffen wie Holz. In beide Baustoffe geht Wasserdampf rein und wieder raus. Die geringe Menge Wasserdampf, die von der Wand aufgenommen wird, wird meist vollständig an die Raumluft wieder abgegeben. Die wenigen Milliliter pro Quadratmeter, die es tatsächlich bis zur Außendämmung schaffen, können ohne Probleme nach draußen abgeführt werden.
Aber selbst, wenn eine Wand nicht dampfdiffusionsfähig wäre, wäre das auch kein Problem. Dann würde man eben hundert Prozent der überschüssigen Feuchtigkeit über das Lüften aus dem Haus transportieren. Denn „Fenster können atmen, wenn man sie öffnet“. Da gibt es dann tatsächlich einen Luftzug, der Feuchte aus dem Haus transportiert.
Und jetzt bin ich auf die Kommentare gespannt, die hoffentlich reichlich kommen ...
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