Armin Scharf

Algen, Fassadendämmung und Biozide

Armin Scharf, 11. November 2012

Würde man einen Biologen zum Thema Algen befragen, so käme der wohl ins Schwärmen – zum Beispiel ob der Anpassungs- und Widerstandsfähigkeit dieser Kleinstlebewesen, die eine wichtige Rolle bei der Entstehung der irdischen Bisophäre spielten.

Bis hierher ist denn auch alles gut, spätestens aber, wenn sich die Alge auf der Fassade breit macht, hört die Begeisterung für diese Spezies auf. Zumindest bei den meisten Bauherren und Hauseigentümern, die mit temporären Umfärbungen wenig im Sinn haben. Ob der meist fleckigen, zwischen grün und braun changierenden Optik ist das auch verständlich. Früher, so heißt es dann, waren Algen nur eine Randerscheinung, das Häusle im Grünen blieb sauber. Sauber ist nicht rein, würde Klementine jetzt zu Recht einwenden. Denn Algen waren schon immer da – siehe oben.

Aber Algen sind clever und suchen sich immer wieder neue Reviere, um sich entfalten zu können. Die Grundbedingung lautet: Es muss ausreichend Feuchtigkeit vorhanden sein. Ansonsten sind Algen nicht gerade wählerisch, siedeln sich auf Metallteilen ebenso an wie auf Holz, Kunststoffen, Ziegeln – und eben auch auf Fassaden. Vornehmlich passiert das dort, wo die Gebäudehüllen gedämmt sind. Zufall, Verschwörung oder Methode? Nein, Bauphysik.

Die Sache ist im Prinzip ganz einfach zu erklären. Wird eine Außenwand gedämmt – egal ob nachträglich oder schon beim Neubau – dann reduziert sich der Wärmestrom, der durch die Wand nach außen läuft. Getreu dem physikalischen Motto, dass sich Systeme unterschiedlicher Energieniveaus immer ausgleichen wollen. Durch den geringeren Wärmeabfluss reduziert sich auch die Oberflächentemperatur der Fassade, weil sie nicht mehr von innen beheizt wird.

In ungünstigen Fällen (Nordost-Seiten, wenig Luftbewegung, kalte Frühstunden) kommt es dann zur Tauwasserbildung an der Oberfläche – auch das ein ziemlich normaler bauphysikalischer Vorgang. Sind nun überdurchschnittlich viele Algen in der Luft unterwegs – etwa an tendenziell stets feuchteren Waldrändern, in der Nachbarschaft landwirtschaftlicher Flächen oder an engen Bewuchsstellen, dann ist es nur eine Frage der Zeit, bis die kondensatbeaufschlagten und langsam abtrocknenden Flächen von den Algen besiedelt werden. Während das Auge daran wenig Gefallen findet, nimmt die Fassade nach dem derzeitigen Wissensstand keinen Schaden.

Nun sind Algen sehr zähe Lebewesen und überstehen auch heiße, trockene Sommer um in der kälteren, kondensatreicheren Jahreszeit wieder in voller Blüte zu stehen. Dennoch lässt sich gegen den Grünschleier etwas tun: Dämmung runter, das nackte Mauerwerk ans Tageslicht und weg sind die Algen. Aber ach, vorbei ist es mit der Energieeffizenz, dem Komfort im Inneren, der Wärmebrückenfreiheit und den geringen Heizkosten. Realistisch ist das also keine Option, auch wenn selbsternannte Experten und Dämmwahn-Ankläger diese Lösung suggerieren.

Würde man sich mit den zwar unerwünschten, aber harmlosen Bewohnern arrangieren und sie akzeptieren, wäre das Problem keines. Doch der Mensch ist Ästhet und strebt nach Perfektion, auch an der Fassade. Pragmatisch finden sich (derzeit) also nur zwei Wege: Bauliche Maßnahmen wie größere Dachüberstände, die nicht nur die Regenbeanspruchung minimieren, sondern auch den Auskühlungseffekt reduzieren. Der andere Ansatz: Man beschichtet neu, worauf sich die Algen erst wieder ganz neu ansiedeln müssen.

Das bringt einen Zeitgewinn von mehreren Jahren, der durch Zugabe von aktiven Wirkstoffen in die Beschichtungen verlängert wird. Biozide nennt man diese in wenigen Promille-Mengen zugegebenen Additive, mitunter auch Filmkonservierer gerufen. Diese Additive wirken toxisch, was sie auch müssen, hätten sie doch sonst keinen Effekt. Und: Diese Wirkstoffe müssen begrenzt wasserlöslich sein, damit sie an der Oberfläche der Beschichtung aktiv werden können. Das wiederum bedeutet, dass sich die Wirkung über die Jahre verbraucht.

Verwendet werden von der Farbenindustrie übrigens solche Wirkstoffe, die auch in der Kosmetikindustrie und in der Landwirtschaft eingesetzt werden und nach der EU-Biozid-Richtlinie zugelassen sind. Kritiker bemängeln, dass die begrenzt wasserlöslichen Biozide von Regen ausgewaschen werden – und treffen damit einen prinzipiell wunden Punkt. Denn auch wenn Studien etwa aus der Schweiz vor einigen Jahren Biozid im Grundwasser feststellten, die Analysten vor allem auf Fassadenbeschichtungen zurückführten, lässt sich die reale Herkunft durch die Stoffgleichkeit nicht exakt nachweisen.

Die heute bei hochpreisigen Fassadenfarben genutzten mikroverkapselten Biozide reduzieren die Auswaschneigung und verlängern die Wirkungsdauer, gelten aber auch in Fachkreisen eher als Zwischenlösung bis ganz neuartige Mechanismen zur Verfügung stehen. Idealerweise kommen die dann ohne chemische Zusatzstoffe aus und nutzen andere Prinzipien – welche, lassen sich heute noch nicht absehen. Bis dahin bleibt das Algenphänomen erhalten – und wohl auch die Diskussion um die eigentlich klar auf der Hand liegenden Ursachen.

 

Kommentare  

Badspiegel Sonntag, 25. Dezember 2016 21:52
Ich finde es wirklich klasse, dass Sie sich all diese Mühe machen und die Informationen mit uns teilt. Danke dafür. Wünsche frohe Weihnachten. Gruß Karin
Wie erhält man umweltschonend „saubere“ Fassaden? » Wärmedämmverbundsystem | Info Mittwoch, 06. April 2016 19:42
[…] mit diesem Problem zu beschäftigen. Die übliche vorbeugende Maßnahme stellt die Verwendung von biozidhaltigen Endbeschichtungen dar. Biozide behindern durch ihre toxische Wirkung das Ansiedeln und Wachstum von Algen und Pilzen. […]
Grüne Fassaden: Kein spezifisches WDVS-Problem » Wärmedämmverbundsystem | Info Donnerstag, 21. März 2013 15:26
[...] mit dauerhafter Feuchte auf der äußeren Wandoberfläche einhergehende Gefahr der Grünbildung, z. B. durch mangelhaften Witterungsschutz, ist ein komplexes Thema, weil hier umwelt- und [...]

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